Montag, 9. März 2009

Am Busbahnhof I


Lasse hatte sein Handy wieder in seiner Hosentasche verschwinden lassen und wühlte aus der Innentasche seines Trenchcoats ein Päckchen Zigaretten hervor. Er beugte sich tief über das Feuerzeug, als er sich die Zigarette ansteckte. Eine Strähne seines halblangen dunklen Haares kam der Flamme gefährlich nahe. Er strich sie hinters Ohr, während er den Kopf in den Nacken legte und einen tiefen Zug des bitteren, dunklen Rauchs einatmete. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er die beiden Flirtenden, deren Kinder sich nun jedes an einen der Beiden ankuschelten. Warum sind meine Eltern eigentlich nie mit mir ins Kino gegangen? Er kaute diesen Gedanken vor sich hin, während der Rauch in einer gleichförmigen Wolke durch seine Nase wieder herausströmte. Etwas Kaltes und Feuchtes landete mit einer solchen Plötzlichkeit auf seinem Kopf, dass er zusammen zuckte. Er strich mit der Hand das feucht gewordene Haar glatt, als schon der nächste Tropfen nach unten fiel.

Mit gerunzelter Stirn blickte er Richtung Himmel und zog den Kragen seines Trenchcoats nach oben. Er nahm einen letzten, hastigen Zug bevor er die Zigarette in eine Pfütze warf, vergrub die Hände tief in seinen Taschen, zog die Schultern nach oben, beugte den Kopf vorn über und stieß sich mit seinem Fuß von der Wand ab an der er gelehnt hatte. Der Regen, der sich zunächst mit einigen, wenigen Tropfen seine Weg nach Unten gesucht hatte, wurde allmählich stärker. Lasse beschleunigte seinen Schritt. Er bog aus dem Kinotunnel nach links ab in Richtung des großen Straßenbahn- und Busbahnhofs. Ein kalter Wind blies die Fußgängerzone entlang. Er fröstelte. Es waren nur wenige hundert Meter bis zu dem Platz. Dennoch war er völlig durchnässt, als er wenige Minuten später dort eintraf. Auf dem Platz war der Wind noch stärker. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zog den Trenchcoat enger um sich. Schnell ging er in Richtung eines der großen Glashäuschen. Er musste mehrere Straßenbahnschienen kreuzen, bevor er dort ankam. Der Platz war leer, kein Bus und keine Straßenbahn standen und warteten auf Fahrgäste. Eine dunkle Gestalt mit zwei großen Koffern saß in dem Glashäuschen auf einer der Bänke. Beim näher kommen konnte Lasse einen kräftigen Oberkörper ausmachen. Er achtete nicht weiter auf die Gestalt sondern widmete seine Aufmerksamkeit vielmehr dem Fahrplan, der in dem Häuschen angeschlagen war. Der Geruch von Benzin stieg ihm in die Nase. Für einen kurzen Moment hielt er inne und sog die Luft tief ein, als erinnere ihn dieser Geruch an etwas. Dann lenkte ihn das Scheppern einer Blechdose ab. An dem beleuchteten Brunnen direkt neben dem Glashäuschen stand ein kräftiger Mann. Lasse zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete das Bild näher. Im Licht des Brunnens konnte er das Gesicht recht gut erkennen. Den Falten auf der Stirn und um die Augen herum nach zu urteilen schien der Mann schon recht alt zu sein. Der Rest des Gesichtes war von einem kräftigen Vollbart verdeckt, der mehrere Zentimeter lang war. Umrandet wurde es von strähnigem und fettigem schulterlangem Haar. Die Bewegungen waren abgehakt und der alte Mann schien Schwierigkeiten zu haben sein Gleichgewicht zu halten. Er stieß an einen kleinen Rucksack, der direkt neben ihm stand und einen Moment schien es so, als würde er stürzen. Mit einem großen Ausfallschritt, den Lasse dem Alten nicht zugetraut hätte, gelang es ihm jedoch sich abzufangen. Plötzlich wandte der Alte ihm den Kopf zu. Obwohl sein Gesicht nun im Schatten lag glaubte Lasse zu erkennen, dass er ihm direkt in die Augen starrte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Der Alte bleckte die Zähne und rief etwas in seine Richtung, was Lasse nicht verstand. Er wich unwillkürlich einen kleinen Schritt zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
„Lasse?“
Die Stimme war so plötzlich und so nah bei ihm, dass er sich mit einem Ruck umdrehte. Seine rechte Hand war zur Faust geballt in seiner Tasche, sein Körper war bis auf den letzten Muskel angespannt. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und die Anspannung schien ebenso schnell wieder von ihm abzufallen, wie sie gekommen war.
„Bernd?“
Lachend klopften sich die beiden Männer auf die Schulter.
„Wie lief das Geschäft?“ Lasse deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der beiden Koffer, wobei einer der Koffer sich bei genauerem Hinsehen als ein Ghettoblaster entpuppte.
Der Angesprochene zuckte kurz mit den Schultern.
„Nicht schlecht eigentlich – warum bist Du nicht für eine Runde geblieben?“
Lasse holte Luft, um zu antworten, wurde aber von dem unverständlichen Kauderwelsch des Alten unterbrochen. Dieser war jetzt bis zu dem Glashäuschen gekommen und streckte seine Hand aus. Lasse hielt den Atem an. Der Wind blies an dem Alten vorbei in das Häuschen hinein. Eine Duftmischung aus Alkohol und ungewaschenen Kleidern schlug ihnen entgegen. Die hingestreckte Hand war von einem löchrigen Halbfingerhandschuh mehr schlecht als recht bedeckt. Den Rucksack hatte er sich um seine linke Schulter gehängt. Bernd klopfte Lasse mit seiner Hand auf die Schulter während er an ihm vorbeiging und dem Alten ein wenig Kleingeld in die Hand drückte. Dieser verzog seinen Mund zu einem breiten Grinsen, was Lasse einen guten Blick auf die zum größten Teil fehlenden Zähne ermöglichte. Angewidert wandte er den Blick ab.
„Vergelts Gott!“, der Alte drückte mit der anderen Hand Bernds Arm, wandte sich dann ab und wankte wieder in Richtung des Brunnens.
„Ich wusste gar nicht, dass Du unter die Samariter gegangen bist?“, Lasse zog seine Augenbrauen nach oben und musterte seinen Freund eingehend.
Bernd zuckte wieder mit den Schultern und wollte eben etwas erwidern, als die Bahn kam. Wortlos stiegen sie ein. Lasse trug den Ghettoblaster und sah noch einmal zu dem Alten am Brunnen. Was war nur in seinen Freund gefahren? Seit wann verteilte er Kleingeld an irgendwelche Penner? Er seufzte. Lieber noch ein wenig über dieses Thema mit Bernd reden, bevor der ihn noch einmal wegen Agnes fragte. Er kniff die Lippen ein wenig zusammen und hatte keine Ahnung, was er Bernd erzählen sollte, wenn der ihn gleich fragen würde.

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