Donnerstag, 26. Februar 2009

Im Kino II


Janinas Herz klopfte, als sie leise den dunklen Kinosaal betrat. Es war ihr erster Tag als Kinoeisverkäuferin. Alte Erinnerungen kamen in ihr hoch, als sie die Musik der Eiswerbung hörte. Wahrscheinlich war die in den letzten 15 Jahren nicht verändert worden.
„Du kannst Dich nach dem Verkaufen wieder in den Saal schleichen und den Film kostenlos ansehen.“, hatte der alte Mann von der Kasse ihr freudestrahlend verkündet.
Ihr neuer Chef. Wie hieß er noch gleich? Horst? Ja, so hatte er sich vorgestellt.
„Im Kinogeschäft duzen wir uns alle, kannst also ruhig Horst zu mir sagen.“
Janina hatte die vertraulich-sonore Stimme noch im Ohr.
Was glaubte der eigentlich wie alt sie war? Sie schaute sich doch keinen Kinderzeichentrickfilm für Sechsjährige an! Das grelle Licht, das plötzlich im Saal anging riss sie aus ihren Gedanken. Jetzt musste sie sich bemerkbar machen. Sie spürte wie ihre Wangen heiß wurden. Mit einem kräftigen Schlucken versuchte sie den Kloß in ihrem Hals hinunter zu schlucken.
„Eis. Will jemand Eis?“, sie hörte das leichte Zittern ihrer Stimme und ärgerte sich über sich selbst.
Keine Reaktion. War sie zu leise gewesen?

Sie trat von einem Bein auf das andere. Unentschlossen, ob sie ihre Frage wiederholen sollte. Da erinnerte sie sich plötzlich wieder an die Eisverkäufer ihrer Kindheit. Waren die nicht einfach an den Reihen entlang gegangen, wenn niemand ein Zeichen gegeben hatte?
Sie gab sich einen Ruck und ging mit einem breiten Lächeln, den Kopf von links nach rechts wendend, los. Erst jetzt viel ihr auf, dass der Saal nahezu leer war. Ein Mann aus den hinteren Reihen winkte sie zu sich. Er war mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern da. Seltsam, die beiden Mädchen sahen sich so gar nicht ähnlich. Die eine dunkles, langes Haar mit einer etwas schiefen Nase und die andere blond und stupsnasig. Naja, vielleicht war es ja eine Patchworkfamilie. Oder es waren die beiden alleinerziehenden Eltern zweier Freundinnen. Wie Freundinnen sahen die Mädels allerdings auch nicht aus. Saßen wie zwei Stöcke nebeneinander. Also sie hätte mit ihrer Freundin im Kino ordentlich getuschelt. Aber die einzigen Beiden die sich tatsächlich angeregt unterhielten waren die Erwachsenen. Janina zuckte die Achseln und überreichte den beiden Mädchen augenzwinkernd das Eis. Der Mann gab ihr zwei Euro Trinkgeld. Das hätte sie sich nicht träumen lassen – sie wusste gar nicht, dass man Eisverkäufern im Kino Trinkgeld gab. Sie schenkte ihm ein Lächeln, was er kurz erwiderte, bevor er seine ganze Aufmerksamkeit wieder seiner Begleiterin zu wandte. So lief der Hase also. Der Kerl wollte die Dame an seiner Seite kräftig beeindrucken. Janina schnaubte leise, bloß großspurig so tun als ob man zu viel Geld hätte. So war ihr Vater auch gewesen. Dabei hatte der Schulden überall. Wie lange hatte sie gebraucht um das zu kapieren? Sie schüttelte den Kopf.
„Janina?“
Eine vertraute Stimme erinnerte sie daran, dass sie nicht zufällig im Kinosaal spazieren ging. Sie drehte sich um und sah am Ende der Reihe vor sich ein bekanntes Gesicht.
„Mensch Lasse! Was machst Du denn hier?“
Ihr Lachen gefror als sie bemerkte, dass da eine junge Frau neben ihm saß – durchaus nicht unattraktiv, vielleicht ein wenig langweilig. Sie hatte ihr ebenfalls den Kopf zugewandt und sah sie neugierig und mit einem doofen Lächeln im Gesicht an.
„Ich wusste gar nicht, dass Du auf Kinderfilme stehst!“, knurrte sie während sie der Anderen zunickte.
„Ich freue mich auch Dich zu sehen!“, Lasse lächelte sie mit seinem typischen „Lasse-Lächeln“ an.
Arschloch!, dachte sie für sich. Dann lächelte sie ebenso freundlich zurück. Vielleicht einen Hauch zu freundlich, zu betont.
„Achso, das ist übrigens Agnes – wir kennen uns aus einem gemeinsamen Kurs. Und das ist Janina, eine“, Lasse suchte eine Spur zu lange nach den richtigen Worten und seine Augen ließen sie nicht aus dem Blick, „eine gute Freundin von mir.“
Sie gaben sich kurz die Hand.
„Freut mich.“
„Mich auch.“
Sie versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie sehr sie von seiner Vorstellung getroffen war. Sie nahm an, dass er wusste, dass sie getroffen sein musste. Zweifaches Arschloch!
„Ich muss dann mal weiter verkaufen. Die Leute wollen ja irgendwann ihren Film sehen. Viel Spaß euch Beiden!“
Sie nickte ihnen kurz zu und war schon halb in der Drehung, als Lasse sie zurückhielt:
„Moment mal, ich hätte auch gerne ein Eis – Du auch, Agnes?“
Janina atmete tief ein bevor sie sich umdrehte. Sie lies sich Zeit damit, damit das Lächeln auf ihrem Gesicht so richtig strahlen konnte.
„Oh, natürlich – wie unbedacht von mir! Ist heute mein erster Tag, verstehst Du? Welche der Eissorten hätte der Herr denn gerne? Und was darf ich der Dame anbieten?“
Agnes schüttelte nur ihren Kopf und lies ihren Blick zwischen Lasse und Janina hin und her wandern.
„Ich hoffe Du gibst auch Trinkgeld, wie der Herr vor Dir?“, auffordernd sah sie ihn an, nachdem er gewählt hatte. Ihre Augen blitzten leicht.
„Wie viel hat er Dir gegeben?“
„Zwei Euro – ist ja eigentlich Betriebsgeheimnis.“
„Stimmt so.“, mit einem breiten Lächeln drückte er ihr einen Zehneuroschein in die Hand, während er ihr direkt in die Augen sah.
Janina fing seinen Blick nicht auf. Stattdessen zuckte sie mit den Schultern, nickte den Beiden mit ihrem freundlichsten Lächeln zu und ging weiter die Reihen entlang. Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Zumindest redete sie sich ein, dass er ihr bestimmt nachsehen würde.
Sie schlich sich dann doch zurück in den Kinosaal. Nicht dass der Film sie plötzlich interessierte, aber von ganz Hinten hatte sie das Pärchen vier Reihen vor sich gut und unbemerkt im Blick. Das Ende würde sie ohnehin verpassen, um nicht entdeckt zu werden.

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