Donnerstag, 1. Januar 2009

Zwei Seiten

Geschäftiges Treiben und schwitzende Hände auf der einen Seite.
Den Blick immer fest auf die Aufgabe gerichtet.
Kein Blick durch das Gitter hinüber zur anderen Seite.
Beinahe als gäbe es sie gar nicht, als würde die Welt direkt am Zaun dort enden.

Fassungslose Blicke und vor Wut und Verzweiflung geballte Fäuste auf der anderen Seite.
Rufe hallen hinüber, schrill und spitz.
„Mörder!“ „Wortbrecher!“
Aber es ist als könnte kein Laut nach dort drüben dringen.

Das Schnarren der Kettensäge zerschneidet die Stille des Morgengrauens.
Sie ist zu hören auf beiden Seiten des Bauzauns.

Gehalten von groben und starken Händen, ganz oben auf einem Kran, dicht am Stamm der größten Platane.

Das Schreien und Toben auf der anderen Seite wird lauter.

Als der erste Ast von der mächtigen Krone getrennt auf den Boden knallt, verirrt sich ein Blick, von hoch oben vom Kran nach drüben, auf die andere Seite des Zauns.

Der Blick sieht vorbei an der wütenden, tobenden Menge. Doch bevor er sich im Nichts verlieren und wieder umkehren kann bleibt er hängen.
Er sieht in ein stilles Gesicht, dessen Augen, wie in einem stummen Gespräch fest auf den großen und schönen Baum geheftet sind.
Er sieht die Tränen, die unaufhaltsam das Gesicht hinablaufen, kann sich nicht abwenden von den Augen, die ungläubig und verzweifelt auf den Baum geheftet sind.

Selbst als der Baum schon längst mit einem lauten Schlag auf die Erde gefallen ist.
Selbst als der Boden schon lang nicht mehr erzittert und der Blick wieder fest auf die Hände gerichtet ist.

Ist es immer noch da, dieses Bild von dem stillen Gesicht, welches lautlos und ungläubig weint.

1 Kommentar:

  1. Zum Jahreswechsel dachte ich,
    ich friere den Staffellauf mal kurz ein für einen Moment der Stille.
    Wie man sieht hat mich die Geschichte mit den Bäumen tatsächlich nachhaltig beschäftigt. Solche "lyrischen" Texte kann ich nur schreiben, wenn ich von irgendwas tief bewegt werde. Ob´s mir gelingt mit diesen Texten einen Funken von diesem "Beweget-sein"-Gefühl weiterzugeben, lass ich mal lieber dahingestellt :).

    Ich wünsche allen die das hier lesen, ein Super-tolles neues Jahr 2009 (vielleicht hat ja jemand "Supertolle Tage" gelesen?) & hoffe dass unsere besten Wünsche sich erfüllen!

    Sylvesterliche Grüße von der Avenue des Champs-Elysées (ich muss das jetzt betonen, da das mein erstes Sylvester ist, das ich im Ausland verbringe :D)

    Kryps

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