Donnerstag, 22. Januar 2009

Im Esprit-Laden II


Constantin stand da und trat von einem Bein auf das andere. Seine Kollegin hatte ihn in den vorderen Bereich des Ladens geschickt, um suchende Kundinnen anzusprechen. Im Moment waren drei Kunden vorne. Alle hatte er gefragt, aber niemand wollte seine Hilfe. Er fing an die Pullover an dem Kleiderständer vor ihm zu sortieren. Nach Farbe. Immer wieder streifte sein Blick den Eingang. Im Ladenradio erklang ein neues Lied. Supergirl.
`Das hat auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel`, schoss es ihm durch den Kopf. Er summte trotzdem mit. Ganz leise, um die Kunden nicht zu stören. Das Geräusch der sich öffnenden Schiebetür riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah einen Mann, so um die Dreißig, mit einer alten Frau am Arm durch die Tür schlendern. Die Frau ging zögernd und sah sich mit weit geöffneten Augen um. Constantin legte seinen Kopf schief. Er fand sie zu alt für diesen Laden, der junge Mode für moderne Menschen verkauft.

`An ihrer Stelle wäre ich auch unsicher. Was will er bloß mit ihr hier? Könnten doch zum Kaufhaus gegenüber gehen.` Constantin seufzte. Er war unentschlossen, ob er die Beiden ansprechen sollte. Er entschied sich noch einen Moment zu warten und hoffte insgeheim, dass sie irgendwas tief im Inneren des Ladens suchen würden. Schuhe vielleicht, die waren einen Stock tiefer. Dann müsste er sich nicht um dieses seltsame Paar bemühen. Um die Frau, die doch viel zu alt war. Vielleicht suchten sie ja etwas für ihre Enkelin oder so. Der Mann lächelte ihr zu und zog sie weiter in den Laden.
„Mal sehen, Babett, wo sie hier Schals haben...“ Er sah sich um.
Constantin seufzte. Mist! Schals waren im Winter natürlich vorne, damit potentielle frierende Kunden sie eventuell im Vorbeigehen von der Straße aus sehen konnten. Er näherte sich den beiden von der Seite und räusperte sich.
„Kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Klar!“, der Mann drehte sich mit einer schwungvollen Bewegung zu ihm und lächelte ihn mit geöffnetem Mund an. „Wir suchen einen Schal“, mit einem noch breiteren Lächeln in Richtung der alten Frau, „für meine reizende Begleitung hier!“
Die Frau lachte auf, schüttelte den Kopf und tätschelte mit ihrer freien Hand seinen Arm.
„Nicht doch, Rainer, jetzt übertreiben Sie aber!“
„Aber nein, keinesfalls! Babett, es ist mir eine Ehre Sie bei dieser wichtigen Aufgabe begleiten zu können!“ Mit gespielter Entrüstung wandte er sich ihr zu und zog seine Schultern nach oben.
Constantin zog für einen kurzen Moment seine Augenbrauen zusammen. Wie waren die Beiden denn drauf? Waren die betrunken? Warum siezten sie sich eigentlich? Wollten die ihn verarschen? Als der Mann sich wieder ihm zu wandte entspannte er schnell sein Gesicht zu einem leichten Lächeln.
„Wenn Sie mir bitte folgen wollen – gleich hier vorne haben wir eine Auswahl an ansprechenden Schals.“
Er drehte sich auf den Zehenspitzen und ging mit zielstrebigen Schritten zu einem Ständer gleich neben dem Eingang. Er spürte wie die Beiden ihm folgten und der Mann weiter ganz angeregt Komplimente an die alte Frau richtete, was sie mit einem Kichern quittierte. Constantin verdrehte kurz die Augen, bevor er sich ihnen wieder zu wandte.
„Sehen Sie hier die verschiedenen Modelle. Ganz Bunte, Ein- oder Zweifarbige, hier ein paar aus feinster Synthetik und da an diesem Ständer sind unsere Wollschals. Wonach suchen Sie denn?“ Fragend zog er seine Augenbrauen hoch.
Die beiden tauschten einen kurzen Blick. Sie zog langsam ihre Schultern hoch und machte ein unsicheres Gesicht.
„Tja, ich weiß auch nicht so genau … Was meinen Sie, Rainer?“
„Hmm, also wir suchen etwas Frisches, nichts Altbackenes, was Modernes halt!“
„Die Modelle hier sind alle der neueste Trend. Wir haben sie frisch zur Saison ganz neu bekommen. Sie glauben gar nicht, wie sehr die nachgefragt werden. Das Modell hier zum Beispiel“, Constantin wies auf einen grauen Synthetikschal mit blauen und grünen Wellen, „also das hier ist unser absoluter Renner!“
Er hielt der alten Frau den Schal hin. Sie griff danach und drehte ihn unentschlossen in der Hand.
„Ich weiß nicht recht. Was meinen Sie?“ Sie schaute zu dem Mann, der ihr zuzwinkerte.
„Probieren Sie ihn doch einfach mal an!“
Achselzuckend begann sie langsam ihren alten Schal von ihrem Hals zu lösen und drückte ihn dem Mann in die Hände bevor sie sich den Neuen umlegte.
„Was meinen Sie?“
„Wunderbar!“ Constantin versuchte ein einnehmendes Lächeln. Es erstarrte ihn auf den Lippen, als er den Mann brummeln hörte.
„Hmm“
Die Frau sah mit großen Augen in den Spiegel und legte den Schal mit spitzen Lippen wieder beiseite.
„Der sieht ja furchtbar aus. Ich bin doch keine Vogelscheuche!“
Beide begannen zu kichern. Constantin kam sich dumm vor. Mit eingefrorenem Lächeln hielt er ihnen das nächste Modell hin. Solche Ignoranten, waren alles die modernsten Schals mit ganz neuem Design. Aber bitte, er wäre nicht auf die Idee gekommen dieser faltigen, alten Frau diese Dinger umzuhängen!
So erging es ihm nun Modell für Modell. Doch er hatte gelernt. Bevor er etwas sagte lugte er kurz in das Gesicht des Mannes und verstärkte dessen Meinung. Er schnaubte leise. Sein Blick ging über die Schultern der Beiden und er sah seine Kolleginnen an der Kasse kichernd zu ihm hindeuten. Blöde Kühe! Sollten die mal versuchen diesem dummen Paar einen Schal zu verkaufen! Er streifte die Hände des Mannes. Zufällig, nur ganz kurz. Dabei kam ihm der alte Schal der Frau wieder in den Sinn. Mit einem schnellen Blick prüfte er das Modell. Strick. Zopfmuster. Hellbraun. Er sah zu der Frau hin, die gerade mit einem weiteren Modell beschäftigt war, dass bei Beiden erneut in Ungnade fiel. Hellbraun wie ihr Mantel. Sie kicherten. Wie albern! Egal, mit zusammengekniffenem Mund sah er erneut zu den Ständern. Lächelnd griff er nach einem neuen Schal und hielt ihn der Frau hin. Strick. Zopfmuster. Dunkelbraun. Sie wollte schon danach greifen, hielt aber in der Bewegung inne, sah zu ihrem Begleiter, zum Schal, zu Constantin und wieder zu ihrem Begleiter.
„Ja, aber...“
„Das ist der allerletzte Schrei!“, ereiferte Constantin sich.
„Aber der sieht ja fast aus wie mein alter ...“, die Worte kamen zögernd, leise über ihre Lippen.
„Tatsächlich?“, mit gespieltem Erstaunen sah Constantin zu dem alten Schal, „Das ist ja unglaublich! Da sind Sie ja sozusagen ein Trendsetter!“
„Wie meinen Sie das?“
„Naja, also diesen Schal verkaufen wir so gut. Ich habe ihn heute bestimmt schon dreimal verkauft. Die meisten Kundinnen reißen sich um die gestrickte Ware, sie glauben es ja gar nicht!“
Sie sah wieder zu dem Mann. Wieder ein aufmunterndes Augenzwinkern.
„Probieren Sie ihn doch einmal an, Babett, dann werden wir schon sehen!“
Langsam umfasste ihre Hand den Schal. Constantin hielt die Luft an und beobachtete mit angespanntem Gesicht jede Regung des Mannes.
„Steht ihnen super gut, Babett!“
Constantin atmete wieder aus, lächelnd.
„Der Herr hat Recht, ein optischer Blickfang geradezu!“
„Das ist jetzt wirklich wieder modern?“ Sie war noch nicht überzeugt.
„Wenn ich es Ihnen doch sage! Und das Dunkelbraun passt so gut zu ihrem hellen Mantel!“
Es ging noch ein wenig hin und her, aber schließlich war das Ding gekauft. Auf dem Weg zur Kasse atmete Constantin tief ein und hörbar wieder aus. Geschafft! Endlich.
Das übliche Getue wegen dem Bezahlen und natürlich bezahlte am Ende schließlich der Mann. Als die Frau ihm ihren alten Schal über den Tresen schob stutzte er kurz bevor er das Ding achselzuckend annahm. Was machte das schon, kommt am Abend eben in den großen Müllcontainer.
Mit schwungvollen Schritten und immer wieder kichernd verließ das ungleiche Paar den Laden. Constantin bedachte sie mit einem langen Blick, als seine Kollegin ihn in die Rippen stupste.
„So, so, der letzte Schrei. Heute schon dreimal verkauft...“
Mit einem breiten Grinsen hob er die Schultern.
„Naja, ich wollte vor morgen früh fertig werden. Was hättest Du denen denn erzählt?“

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